Auf meiner Fensterbank trocknet mein Weihnachtswunder.
Als mir am Nachmittag des 25.12. die Decke begann auf den Kopf zu fallen, beschloss ich an den Rhein zu fahren.
Eine Porschespritztour fiel ja leider aus, aber der treue Mercedes brachte mich durch den grauen Nachmittag ans Wasser.
Zuhause hatte ich ein Ovidzitat in einem Buch gelesen:
„Überall herrscht Zufall. Lass deine Angel nur hängen; wo du’s am wenigsten glaubst, sitzt im Strudel der Fisch.“
Der Wasserstand war hoch, der normale Weg durch die sandigen Buchten unmöglich.
Neben mir lärmte eine Familie und warf Steine ins Wasser.
Naja, wird es nur ein kurzer Ausflug, dachte ich, und machte mich auf den Weg zurück zum Auto.
Sobald ich am Strand bin, regrediere ich ins Grundschulalter und fange an, zu sammeln.
Eigentlich schaffe ich es nie nach hause, ohne mindestens einen schönen Stein, ein ungewöhnliches Stück Holz oder andere Preziosen.
Im Sommer habe ich einen Rückenwirbel gefunden.
An diesem Tag schien so gar nichts Besonderes für mich an Land gespült worden zu sein.
Aber kurz bevor ich den Deich erreicht hatte, sah ich es.
Ein perfektes weißes, geschnörkeltes Schneckenhäuschen.
So etwas gibt es im Rhein doch gar nicht, dachte ich.
Und als ich genauer hin sah, fand ich noch mehr.
Teile einer Seeigel-Schale, eine Vielzahl von verschiedensten Schneckenhäusern, wunderschöne Muscheln.
Alles eher Südsee als Rheinland.
Ein Wunder!
Verzückt sammelte ich.
Ovid hat recht!
Vielleicht hat nur jemand seine gekaufte Muscheldeko entsorgt.
Oder zur Wintersonnenwende ein Muschel-Mandala in den Sand gelegt.
Aber ich habe beschlossen, mein Muschel-Weihnachtswunder als gutes Omen für das Kommende zu deuten.