Ich bin eine bekloppte Sozialistin

Früh am Morgen erreichte mich der Anruf.
Die AfD feiere ihren Neujahrsempfang, ob ich mitkäme, dagegen Flagge zu zeigen.
Meine letzte Demonstration lag 35 Jahre zurück.
Mitte der 80er war ich als Teenager bei einer „Menschenkette für den Frieden“.

Es war also nicht übertrieben, zu sagen, dass ich etwas aus der Übung war.
Nachmittags bastelte ich aus Pappe ein Schild und fuhr abends in die Stadt, wo der Empfang stattfinden sollte.
Wie immer war ich zu früh dran.

Das Gebäude war bereits hell erleuchtet, von den anderen war noch niemand da, AfDler jedoch schon.
Kurz überlegte ich, wie ich die Zeit bis zum Eintreffen der anderen verbringen sollte.
Dann dachte ich, jetzt bist Du hier, also demonstrier!

Alleine wanderte ich mit meinem Schild auf und ab.
Schnell folgte mir ein Mann im Anzug.
Immer näher sah ich seinen Schatten von hinten an den meinen herankommen.
Irgendwann wurde es mir zu bunt, äh, braun.

Er stand sehr nah hinter mir, als ich mich umdrehte, um ihn zu fragen, was es gebe.
Er gehörte zu den Menschen, deren Unseriösität durch einen Anzug eher betont wird.
So wie muskelbepackte Türsteher im Anzug aus leicht glänzendem Zwirn über dem V-Ausschnitt-t-shirt.

Dieser Mann bezeichnete mich als „bekloppt“, nachdem er mich bedrängt hatte.
Weitere fotografierten uns, fuhren mehrfach unnötig nah mit dem Auto an uns vorbei, Frauen machten ätzende Kommentare und einer bezeichnete uns als „Scheiß Sozialisten.“

Alles in allem eine interessante Erfahrung.
Weder hat mich jemals jemand „bekloppt“ genannt, noch als Sozialistin bezeichnet.
Wenn man mich aus meinem Carrera steigen sieht, kämen vermutlich wenige auf die Idee, ich sei sonderlich linksgrün versifft.

Kurz danach dann Kemmerich in Thüringen.
Die Porsche-Antifaschista holt ihr Schild aus dem Keller, und fährt vor den Landtag in Düsseldorf.
Heinrich Heines Worte aus den „Nachtgedanken“ im Sinn.